Der amerikanische Zen-Meister, Bernie Glassman, ging 1996 zum ersten Mal ins ehemalige Konzentrationslager in Auschwitz, um Zeugnis abzulegen – zusammen mit 150 weiteren Menschen aus zehn Nationen. Seither findet dort alljährlich das „Bearing Witness“ Retreat als friedensstiftende Praxis statt. Im Verlag edition steinrich ist gerade das Buch „AschePerlen. Pearls of Ash and Awe – Zeugnisse aus 20 Jahren Friedenspraxis in Auschwitz“ erschienen. Mit der Herausgeberin, Kathleen Battke, habe ich ein kurzes Interview geführt…
3 schätze: Liebe Kathleen, am Sonntag, 18.10.2015 wirst Du von 15:00 bis 18:00 mit einer Lesung aus Deinem neuen Buch „AschePerlen. Pearls of Ash and Awe – Zeugnisse aus 20 Jahren Friedenspraxis in Auschwitz“ bei 3 schätze zu Gast sein. Ich freue mich, dass wir im Vorfeld noch Gelegenheit haben, dieses Interview zu führen. Erzähl doch zu Anfang kurz wer Du bist, was Du so machst…
Kathleen Battke: Ich bin ein Mensch mit Seele, Geist und Körper – jedenfalls bemühe ich mich darum! Was ich mache? Meine Ehe mit Thomas leben, in einem Mehrgenerationenprojekt wohnen, Gemeinschaftsgärten anzetteln, mit Thomas zusammen als ZukunftsPioniere GbR Unternehmen und Organisationen im Wandel begleiten, Menschen zu sich selbst und zum Schreiben ermutigen, Bücher hervorbringen – meist, wie auch im Fall von „AschePerlen“, als Gemeinschaftsleistung.
3 schätze: Da Du die „AschePerlen“ direkt ansprichst, bleiben wir doch ein wenig dabei. Zum 20. Jubiläum des „Zeugnis-Ablegen-Retreats“ in Auschwitz-Birkenau hast Du gerade, gemeinsam mit Ginni Stern (USA, Jüdin) und Andrzej Krajewski (Polen) einen zweisprachigen Sammelband mit Erfahrungsberichten von rund 80 Teilnehmenden aus 17 Nationen herausgegeben. Wie kam es zu diesem Buch?
Kathleen Battke: Das Jubiläum war vor allem denen bewusst, die schon lange dieses Retreat mit erleben und hüten – in diesem Falle Ginni Stern, die seit 1996 wirklich jedes Jahr dabei war, und Andrzej Krajewski, der der polnische ZenPeacemaker-Ansprechpartner vor Ort ist – ebenfalls von Anfang an. Ich war ja erst 2011 das erste Mal dort. Aber da ich als Magnet auf Schreib- und Buchprojekte wirke, was Ginni sofort erkannt hat, haben wir die Idee nach dem Retreat 2013 an unserem Küchentisch in Bonn entwickelt. Und so nahm es seinen Lauf…
3 schätze: Ich stelle mir vor, dass es gar nicht so einfach ist, die Fülle an Erfahrungsberichten zusammenzutragen. Hast Du die Teilnehmenden des Retreats persönlich besucht? Wie war es für die Teilnehmenden über ihre ja sicherlich sehr persönlichen Erfahrungen zu sprechen?
Kathleen Battke: Einfach war es fürwahr nicht – aber es lebe das Internet! Ich habe also nicht alle 80 Beitragenden besucht, sondern wir haben die Retreat-Teilnehmerlisten genutzt, um die Idee des Buches zu verbreiten und zu Beiträgen einzuladen. So ist das Buch nun eine Auswahl derer, die davon gehört haben und bereit waren, ihre persönlichen Erfahrungen preiszugeben. Wunderbarerweise spiegelt dieses scheinbar „zufällig“ entstandene Spektrum der Beiträge nun doch die Vielfalt der 20 Retreat-Jahre – es sind Leute aus 17 Nationen dabei, Menschen aus dem ersten Retreat-Jahr und welche, die 2014 zum ersten Mal dort waren. Und die Freiwilligkeit, etwas beizutragen, hat dann vor allem die angesprochen, die sich darüber gefreut haben, ihre Erfahrungen und Gedanken teilen zu können.
3 schätze: Im kommenden November wirst Du selbst zum dritten Mal an dem Retreat in Auschwitz teilnehmen? Kannst Du kurz beschreiben, was die Teilnehmenden dort erwartet. Was bedeutet es „Zeugnis abzulegen“?
Kathleen Battke: Ja, ich fahre in wenigen Wochen wieder nach Oswiecim. Nein, beschreiben kann ich nicht, was einen dort erwartet. Die Erlebnisse sind wirklich sehr persönlich und individuell, und es hängt sehr viel davon ab, in welcher aktuellen Lebenssituation du gerade bist und hinfährst. Da der erste Grundsatz der ZenPeacemaker „Nicht-Wissen“ ist, sind wir aufgerufen, unsere Erwartungen und Vorstellungen zuhause zu lassen, wenn wir aufbrechen zu diesem „Tauchgang“. Zeugnis ablegen heißt dann, in diesem Zustand des Nicht-Wissens, der Konzeptlosigkeit, die sich ja oft wie Hilflosigkeit anfühlt (da wir nicht routinemäßig, automatisch, wie gewohnt reagieren können), zu verweilen. Ihn auszuhalten, freundlich zu beobachten, was passiert, wenn mich meine Gewohnheiten, meine Bewältigungsstrategien verlassen. Wer bin ich dann? Wie begegne ich dann anderen? Das wahrzunehmen und nicht davonzulaufen, so schmerzhaft es auch sein mag – das ist mein Verständnis von Zeugnis-ablegen.
3 schätze: Erzähl uns doch bitte ein wenig über die Praxis der Zen-Peacemaker. Als Koordinatorin für die KreisZen-Aktivitäten der deutschsprachigen Zen-Peacemaker Gemeinschaft, bist Du hier ja sehr aktiv.
Kathleen Battke: Einiges sagen vielleicht schon die Sätze zur letzten Frage. Die Praxis des Nicht-Wissens, des Zeugnis-ablegens und der spontanen, liebevollen Handlungen, die daraus als soziale Praxis entspringen, sind eine Essenz für die ZenPeacemaker. Zudem sind sie dabei, die lange Tradition des hierarchischen, monastischen Zen um die geschwisterliche Struktur des Kreises zu bereichern, in dem wir alle sowohl Lehrende als auch Lernende und ZeugInnen des gegenseitigen Erwachens sind. Das berührt mich tief, und mit der Rolle einer Koordinatorin der KreisZen-Gruppen im deutschsprachigen Raum möchte ich gemeinsam mit meinen WeggefährtInnen dazu beitragen, diese reiche, transformierende Praxis zu stärken.
Voraussichtlich wird am 18.10. eine weitere Autorin anwesend sein. Im Anschluss an die Lesung ist Zeit für Meditation und Austausch im Kreisgespräch.
… über das Buch, das in der edition steinrich erschienen ist: www.janando.de/steinrich
… über die Herausgeberin Kathleen Battke: www.zukunftspioniere.com
… über den gastgebenden Ort, 3 schätze: www.3-schaetze.de
… zum kontemplativ-engagierten Weg der ZenPeacemaker: www.zenpeacemakers.de