Am Anfang war Bewegung – Interview mit Gonzalo Sainz-Trapaga

Ein Interview mit Gonzalo Sainz-Trapaga

3 schätze: Lieber Gonzalo, ich freue mich, dass Du Dir Zeit genommen hast, um mit mir dieses kleine Interview für den 3 schätze Blog/Newsletter zu führen.

In Bonn und speziell in der Bonner Altstadt kennen Dich viele als Künstler und Schmied, mit Deinem Geschäft auf der Breite Straße. Heute soll es aber um ein ganz anderes Angebot (s.u.) gehen, welches Du ins Leben gerufen hast. Bevor wir damit einsteigen, erzähle uns und denen, die Dich noch gar nicht kennen, kurz etwas zu Deiner Person.

Gonzalo: Du, ich bin durch dick und dünn in diesem Leben, anfangs geschleudert, dann navigiert, ich bin Musiker, Koch, Parfümeur, Reisender, Bildhauer, Silberschmied, Goldschmied geworden und parallel zu alle dem war ich zwanzig Jahre meines Lebens Mitglied in einer „Dance and Drama“ Truppe erst in Buenos Aires, dann in London. Dort baute ich Bühnenbilder, Props und Musikinstrumente und beteiligte mich an den Bewegungstrainings und -studien der Kompanie. Es war Theater, Tanz, Stimme, wir studierten philosophische und psychologische Texte, die wir dann ins körperliche und poetische übertrugen und vieles mehr. Als eine Folge davon, fast vierzig Jahre danach, als ich meine schwere Bildhauerarbeit beendete, begegnete ich BMC® und das machte viel Sinn…

3 schätze: Ich kenne Dich als jemanden, der den Dingen auf den Grund gehen will und mit „Dingen“ meine ich eigentlich das Leben in all seinen Facetten.
Viele Menschen im Westen versuchen ja die Welt zu denken und das Leben in ihrem Geist zu erfassen und zu verstehen. Neben den philosophischen und poetischen Betrachtungen bist Du gleichzeitig seit vielen Jahren als „Tänzer“ (Contact improvisation und zeitgenössische Tänze), also sehr körperlich unterwegs. Vor kurzem hast Du nun auch eine Body Mind Centering® (BMC®) Ausbildung abgeschlossen. Magst Du uns einen Einblick in diese Methode oder Praxis geben?

Gonzalo: Alles ist Bewegung und meine Erfahrung ist, dass in Bewegung fast alle Antworten liegen. BMC® war die Integration all dessen, was ich in verschiedenen Phasen meines Lebens erfahren und erlernt habe. Ich beschloss also das Somatic Movement Educator Programm mitzumachen (zweijähriges Studium mit Diplom) und anschließend das Practitioner Programm (wieder zweijähriges Studium mit Diplom Abschluss, durch die Pandemie verlängert), das ich vor kurzem, mit fast 70 Jahren beendet habe. BMC® ist eher Praxis als Methode, einer liebevolle Praxis. Durch das Erlernen der eigener Entstehungsgeschichte, genannt Embriologie, der Körpersysteme wie Organe, Skelett, Muskeln, Nervensystem, Endocrine etc. aber auch neurozelulläre Muster und Reflexe, erlangen wir Zugang zum Gedächtnis, zum Wissen unserer Zellen, das ist Embodiment.

3 schätze: In meiner Vorstellung geht es in der BMC® Arbeit darum, Körper und Geist als Einheit zu verstehen und in Harmonie zu bringen. Ist BMC® also (auch) eine Form der Meditation oder eher ein therapeutischer Ansatz? Was meint, „BMC® ist ein integrierter Ansatz für transformative Erfahrungen durch Bewegungsumschulung“ und was ist letztlich Ziel dieser Transformation?

Gonzalo: Ja, tatsächlich finde ich die Trennung von Körper und Geist komisch. Und ähnlich geht es mir mit der Trennung zwischen Meditation und therapeutischem Ansatz, ich will sagen: Die Meditation ist auch Therapie. Die Basis der Praxis des BMC® ist „Embodiment“, also Verkörperung. Wir, in abendländischen Kulturen, leiden unter einer unverhältnismäßigen Dominanz des Intellekts, also des Frontal-Lappens des Gehirns, der einen grossen Schatten wirft über alle anderen Arten des Wahrnehmens und „in der Welt sein“. Unsere Kultur betrachtet den Menschen als „Ding“, an dem programmiert, geschnitten und geschraubt werden kann und vergisst das lebendige, die Magie dieser wunderbarer Existenz, die „selbst weiss und sich erschaffen hat“. Bedenke, dass Du bist, selbst entstanden nach der Begegnung eines Spermiums und eines Ovums. Du verfügtest über die notwendige Information, um zu werden, so komplex wie ein Menschenwesen ist!!!

3 schätze: Ich selbst praktiziere ja seit einigen Jahren Sensory Awareness, gemeinsam mit Stefan Laeng, bei dem ich aktuell auch eine Ausbildung zum Sensory Awareness Leader mache. Aus unseren Gesprächen nehme ich immer wieder mit, dass es beim BMC®, ganz anders als beim Sensory Awareness, eine sehr klare Struktur gibt, die ein detailiertes Studium der Anatomie, des Nervensystems usw. hervor gebracht hat. Wie wichtig, glaubst Du, ist die theoretische Unterfütterung unserer spürenden Erfahrungen für das Verständnis und eine mögliche Transformation?

Gonzalo: Na gut, in den ersten Jahren lernen wir viel über Anatomie und Körpersysteme, später geht es auch in Richtung psychophysischer Integration und ein grosses Ganzes, aus Zusammenhängen bestehendes, in dem es nicht mehr um Unterscheidungen zwischen dem physischen und dem „anderen“ geht.

Wir brauchen die Information aus Anatomiebüchern und anderen Quellen, um uns (wieder) zu informieren. Danach aber gehen wir in einen somatischen Prozess, in der die Systeme sich ihrer selbst bewusst werden. Das heisst, wir benutzen die Imagination, die Vorstellung, um Körpersystemen selbst Bewusstsein zu ermöglichen. Embodiment: Wenn Deine Leber sich selbst bewusst ist, sind dein Nervensystem und Gehirn die letzten, die es wissen werden. Also, wir benutzen theoretische Informationen, um Wissen und Bewusstsein zu erlangen. Die klare Struktur hilf Dir, Dich ins Bild zu setzen, danach, sowohl als Pädagoge wie als Therapeut, verbindest Du die eigene Wahrnehmung mit der Information. So zum Beispiel ist das Wissen über die embryologische Entstehung und Herkunft eines Organes hilfreich, um es bei einer Verstimmung oder einem Gleichgewichtsverlust zu unterstützen oder zu begleiten. Als Practitioner verhilfst Du dem Client zur eigenen Bewusstwerdung, Du zeigst Wege und Zusammenhänge, Landkarten.

„Los antiguos“ wie ich sie in Spanischen gerne benenne, die Menschen von früher, waren „in Kontakt“, brauchten keine Anatomiebücher, Ihre Metaphern erfüllten diese Funktion. Das kannst Du sehen, wenn du Chakras oder Meridiane oder Konzepte wie Ki or Chi, Hara und Prana betrachtest, siehst Du, dass sie alle korrelieren mit anatomischen Strukturen und Dynamiken.

 

Der Geist ist wie der Wind und der Körper wie der Sand: Wenn du sehen willst, wie der Wind weht, kannst du auf den Sand schauen.“ – Bonnie Bainbridge Cohen

 

3 schätze: Viele von uns, die regelmäßig und teilweise über längere Zeit meditieren, kennen Situationen, in denen man sich mit körperlichen Schwierigkeiten und Schmerzen auseinander setzen muss. Du hast im Jahr 2021 einen „Workshop for the sitting – and for everyone else“ gehalten. Hast Du einen Tipp, wie wir mit Schmerzen in der Meditation umgehen können?

Gonzalo: Ja gerne, Schmerz ist eine Botschaft, er bringt Dir Informationen und zwingt Dich zuzuhören, im weitesten Sinne des Wortes. Bevor Du eine Schmerztablette nimmst, hast du die Gelegenheit in Dich hinein zu reisen und zu klären was Klärung braucht und zu versorgen was Versorgung braucht. Und wenn ein Nerv eingeklemmt ist von einer herausschauenden Bandscheibe zwischen dem C und T Wirbel, dann brauchst du wahrscheinlich die Schmerztablette, weil der Schmerz noch mehr Schmerz produziert und du aus diesem Teufelskreis nicht rauskommst. Ich habe in meiner Reiseapotheke eine Ibuprofen, die ich selten benutze, obwohl mein Körper viele Strapazen in diesem Leben erfahren hat und auch schon etwas älter ist. Oftmals war ich kurz davor und nahm mir dann doch noch Zeit, um zu horchen und zu gehorchen, letztendlich um für mich zu sorgen. Oft ist es so gewesen, dass ich sie am Ende nicht mehr brauchte. All diese Erfahrungen registriert das Nervensystem und nutzt dieser Informationen in zukünftigen Fällen.

3 schätze: Als Somatic Movement Educator und Body Mind Centering® Practitioner bietest Du nun in Bonn ein wöchentliches Angebot an, an dem jede und jeder, auch ohne Vorerfahrung teilnehmen kann. Jeden Mittwoch um 19:00 Uhr findet in der Breite Strasse 56 in Bonn, „Erfahrbare Anatomie“ statt, wie Du in Deiner Ankündigung schreibst. Was genau erwartet die Teilnehmer:innen in diesem Kurs?

Gonzalo: Sich selbst zu begegnen, auf einer Ebene, die den Teilnehmern oft völlig unbekannt ist, Deine eigenen Organe oder zelluläre Atmung, Dein Gehen, Stehen, Atmen so lebendig zu erfahren, dass Du eine neue Beziehung zu Gewicht, Anziehungskraft, zum Selbst erlebst. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten der Bewegung, des Denkens, des alltäglichen Arbeitens. Du erlebst Dich so, wie Du nicht wusstest, das Du bist.

Und vielleicht übernehmen wir auf dieser Art der Verantwortung, die wir an die Kultur und die Institutionen, politische, geistliche, medizinische und ökonomische, wissend oder unwissend, übertragen haben.
Das wäre dann Freiheit!

3 schätze: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

 

Erfahrbare Anatomie – Mit Gonzalo Sainz-Trapaga

Jeden Mittwoch um 19:00 Uhr in der Breite Strasse 56 in Bonn.

 

Infos:

https://bmc-gst.de

https://sainz-trapaga.de
https://www.ichos.de/de

Mail: contact@bmc-gst.de

 

 

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