Ein Gastbeitrag von Jörg Bretz
Seit der Lektüre mehrerer Bücher von Bernie Glassman („Anweisungen für den Koch“, „Zeugnis ablegen“) ab 2014 wusste ich, dass die Organisation der Zen Peacemakers (http://zenpeacemakers.org) jährlich im November ein Meditationsretreat im Konzentrationslager Auschwitz organisiert. Nach mehreren Jahren reifte schließlich im Dezember 2018 die Entscheidung, dass meine Frau Christiane und ich im November 2019 teilnehmen wollen.
Bernie Glassman war bei seinem erstmaligen Besuch von der Energie des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau so bewegt, dass er dort ein Meditations-Retreat veranstaltete und fortan jedes Jahr wieder mit dem Retreat wieder dorthin zurückkehrte. So verfügte er auch für seinen Tod, dass seine Asche an verschiedenen Stellen des Konzentrationslagers verstreut werde.
Die Zen Peacemaker-Webseite (https://zenpeacemakers.org/auschwitz-birkenau-bearing-witness-retreat) klärte viele organisatorische Fragen zum Retreat und unterstützte uns bei der Vorbereitung. Wir planten unsere Anreise so, dass wir vor dem Retreat drei Tage und nach dem Retreat noch einen Tag in Krakau verbringen konnten. Nach der Anmeldung zum Retreat buchten wir unserer Flüge und Unterkünfte und danach schlummerte Auschwitz in uns – es war ja noch fast ein Jahr Zeit.
Die Zen Peacemaker empfehlen, im Freundeskreis um finanzielle Unterstützung für die Teilnahme an diesem Retreat zu „betteln“, und damit einer Jahrtausende alten buddhistischen Praxis zu folgen. Mehrere Monate zögerte ich mit dieser Bettelpraxis. Wie kann ich Menschen um Hilfe bitten, die über weit weniger finanzielle Mittel verfügen als ich? Was werden diese Menschen von mir denken? Soll ich die Menschen persönlich ansprechen, oder setze ich sie damit emotional unter Druck? Schließlich entschloss ich mich im Sommer 2019, eine Bettel-Mail zu verfassen und an ausgewählte Menschen meines Freundes- und Bekanntenkreises zu versenden.
Fortan war damit vielen Mitmenschen klar, dass ich an diesem Retreat teilnehmen würde. Es entstanden über mehrere Wochen viele persönliche Gespräche zum geplanten Retreat, zum Dritten Reich mit seinen Konzentrationslagern, über das Betteln in unserer Zeit und vieles mehr. Ich empfehle jedem, der erstmalig am Retreat teilnimmt, die Erfahrung aus der Bettelpraxis zu machen. Schließlich gestaltete ich eine Gebetskette (Mala), in der jeder Unterstützer durch eine Perle repräsentiert ist. Die Mala begleitete mich während der gesamten Reise und vergegenwärtigte mir, dass viele Menschen indirekt mit mir auf dieser Reise sind. Einen Teil des erbettelten Geldes habe ich den Zen Peacemakers zur Verfügung gestellt, um ärmeren Menschen die Teilnahme am Retreat zu ermöglichen (Stipendiumsfonds). Einen anderen Teil habe ich der Erinnerungsstiftung Auschwitz-Birkenau gespendet.
Und plötzlich war es Ende Oktober und das Retreat klopfte an die Türe. Was packe ich in den Koffer, um beim ganztägigen Aufenthalt draußen nicht zu frieren? Wir würden ja tagsüber still in der Kälte sitzen, um zu meditieren. Schrecklich die Vorstellung, dass die Inhaftierten nur dünne Baumwollkleidung und Holzschuhe tragen durften. Und die Winter dort waren mit minus 20 Grad Celsius richtig kalt.
Nach einem kurzen Flug trafen wir in Krakau ein und verbrachten den ersten Tag in Kazimierz, dem heutigen Stadtteil von Krakau, der seit Jahrhunderten ein florierendes Zentrum jüdischen Lebens war. Am darauf folgenden Tag besuchten wir den Stadtteil, in dem ab Sommer 1940 die Deutschen das jüdische Ghetto errichteten. Und zuletzt bewegten wir uns durch das mittelalterliche Stadtzentrum, den Mittelpunkt des modernen Krakau.
Und gleichzeitig sah die Landschaft fast wie zu Hause aus. Das „Dialogue Center“ im Dorf Auschwitz, fußläufig rund 15 Minuten vom Lager, sollte uns die kommenden Tage angenehm beherbergen.
Nach einem weiteren Tag in Krakau ging es dann wieder nach Hause. Bepackt mit all diesen Eindrücken war die Rückkehr zum Alltag zunächst schwierig. Angesichts des Erlebten wirkten viele Alltäglichkeiten in einem völlig anderen Licht. Langsam ziehen sich die Eindrücke aus dem Alltag zurück und Normalität kehrt wieder ein. Das Retreat begleitet mich allerdings weiter, derzeit auch durch viele Gespräche mit Interessierten und Unterstützern.
Vielen Dank euch, die ihr mich unterstützt habt. Wer weitere Fragen hat, kann mich gerne ansprechen, telefonisch, per Mail oder persönlich.
Euer Jörg
Bilder von Christiane Bretz