„Ohne Zelt und ohne Geld“ – Ein Jahr zu Fuß durch Deutschland

Jens Fröhlke ist seit dem 05.06.2015 zu Fuß und ohne Geld unterwegs. Er hat sich aufgemacht zu seinem Lebenslauf, einem Friedesmarsch quer durch Deutschland. Er sieht seinen Lebenslauf als einen „Protest gegen die jetzigen herrschenden, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und die Suche nach Modellen alternativer Gesellschaftsformen„. Ein Jahr soll das Experiment dauern, wohin die Füsse ihn tragen ist unklar und was danach kommt noch offen. Eine spannende Reise mit vielen Begegnungen und Herausforderungen…

jens rucksackUm den 23.08.2015 machte Jens in Bonn Station und ist zwischenzeitlich auch Gast bei 3 schätze. Eine gute Gelegenheit für ein Gespräch.

3 schätze: Hallo Jens, ich freue mich, dass wir uns getroffen haben und nun dieses Interview führen können. Dein Projekt trägt ja den Titel „Mein Lebenslauf – Über meine Grenzen„. Erzähl uns doch bitte zu Anfang kurz, was Dich genau bewegt, Dich ohne Geld, nur mit dem nötigsten im Rucksack aufzumachen und Dein gewohntes Leben zu verlassen. Welche Geschichte steckt dahinter?

Jens: Mensch, da gibt es sicher viele Ebenen. Eine ist, dass ich mich als Workaholic wiedergefunden habe, 60 bis 80 Stunden in der Woche gearbeitet habe und irgendwann meine eigene innere Stimme nicht mehr hören konnte. Ich war oder bin immer noch Buchhändler in Wildeshausen, habe den Kulturverein in Habstedt (KuK) gegründet und mich regional sehr engagiert. Und ich war wirklich gerne Buchhändler, angefangen mit einem Antiquariat auf Märkten in Bremen und Hamburg und später mit eigener Buchhandlung. Doch genau am 05.07.2014 habe ich dann morgens beim Rasieren plötzlich ein Bild gesehen, dass ich laufe, mich bewegen muss, da war ein grosser Bewegungsdrang in mir. Ich wollte gehen, mir dieses Land und die Menschen anschauen und es war völlig klar, dass ich ohne Geld und ohne Zelt und genau ein Jahr gehen werde.

Auf der anderen Seite gab es so viele Dinge, die in mir gearbeitet haben. Da sind Bilder von der Ungerechtigkeit dieser Welt, die sich in den letzten 30 bis 40 Jahren in Zynismus und Wut ausgedrückt haben, die mich haben kämpfen lassen, die sich aber nicht lösen wollten. Mit der Idee meines Lebenslaufes sind die Dinge an ihren Platz gefallen, es war so klar, dass ich diesen Gang machen werde und so habe ich das dann am nächsten Tag meiner Familie und meinen Freunden gesagt. Dabei habe ich früher nie gecampt, habe es gehasst, draußen zu schlafen, esse gerne und habe auch meine Gewohnheiten und mag klare Strukturen.

3 schätze: Ich denke, es geht vielen Menschen so, dass sie mit Bereichen ihres Lebens unzufrieden oder überfordert sind. Oft ist es der Job, der unzufrieden macht oder zu dem man den Bezug, den Sinn verloren hat. Wenn man angestellt ist, kann man das vielleicht als etwas von Außen wahrnehmen und dann eine gewisse Distanz dazu aufbauen. Wenn die eigene Vision, in Deinem Fall der Buchladen, einen auslaugt und man sich als jemand wiederfindet, der zu einem grossen Teil nur noch ein System bedient, kann das doch sicher sehr frustrierend sein, oder?

Jens: Wie gesagt, die Buchhandlung war meine Herzensangelegenheit und gleichzeitig gibt es da einen enormen Druck seitens des Systems und auch eigene Ansprüche, zu bestehen, z.B. noch mehr Veranstaltungen zu machen, Angestellte bezahlen zu können usw. Als kleiner Selbstständiger ist da schon oft die Sorge rauszufallen, Kredite nicht bezahlen zu können, die Familie nicht mehr ernähren zu können.

Jens3 schätze: Wie hat denn Deine Familie und Deine Freunde reagiert, als Du Ihnen eröffnet hast, dass Du nun auf Deinen Lebenslauf gehst? Wie ist es aktuell mit den Verpflichtungen, die Du bisher hattest?

Jens: Zunächst war das für meine Frau wie ein Schock aber nachdem wir die Monate bis zu meinem Aufbruch darüber gesprochen hatten, fielen der Lauf und seine Thematiken doch auf fruchtbaren Boden. Mein Sohn organisiert nun die Homepage für mich und meine Frau unterstützt mich enorm. Dieses Jahr bedeutet Veränderung auf vielen Ebenen und es gibt natürlich auch auf Beziehungsebene Prozesse die immer noch laufen. Verpflichtungen, die zuhause laufen, habe ich im Vorfeld über ein Crowdfunding bei visionbakery und ein kleines Erbe abgedeckt.

3 schätze: Wie hast Du die ersten Schritte, die ersten Tage unterwegs empfunden? Ist es nicht komisch, wenn man noch in einem relativ engen Radius von zuhause läuft und man doch „nicht mehr zurück kann“?

Jens: Ich hatte nie das Gefühl nicht mehr zurück zu können, sondern ich wollte einfach los, Schritte setzen, mich nach Vorne bewegen. Klar, es gab sowas wie eine Sicherheitszone, in der noch Freunde wohnten usw. Am Anfang habe ich sehr kleine Schritte gesetzt, mich vorsichtig rangetastet, bin zuerst zum Plendelhof, eine Künstler-Lebensgemeinschaft gelaufen und von da dann weiter. Ab Minden/Porto Westfalika hörte geografisch aber meine Komfortzone auf und dann war Schluss, offene Weite, unentdecktes Land. Bis dahin konnte ich irgendwie auch nur bis Minden denken.

Jens-Schlafsack3 schätze: Mittlerweile bist Du zweieinhalb Monate unterwegs. Was waren Deine bisherigen Stationen? Wieviel Kilometer machst Du so am Tag?

Jens: Naja, bisher bin ich sowas wie 450 oder 500 Kilometer gegangen. Das sind so im Schnitt 5 Kilometer pro Tag aber eigentlich gehe ich meistens so ca. 15 bis 20 Kilometer am Tag. Zwischendurch ich bin auch öfter mal ein paar Tage an einem Ort. Die Stationen meiner bisherigen Reise sind für mich irgendwie wie eine Art Netz, ein Teppich, wie der Hollerhof bei Bremen, das Shiva-Shakti Yoga-Zentrum in Martfeld, Campact und das Ökologische Zentrum in Verden, der Lebensgarten in Steyerberg, mit Pals Acker (Permakultur) und dem To Gen Ji Gelände mit dem Zen-Garten der Choka Sangha usw., der Utopival Mitmachkongress (Living Utopia) in Lindlar, um nur einige zu nennen. Alles Menschen, die etwas bewegen, verschiedene Thematiken. Tja und jetzt bin ich eben hier bei 3 schätze.

Route - mein Lebenslauf

3 schätze: Wie ist es, ohne Geld unterwegs zu sein? Du bist ja immer auf die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen angewiesen? Welche Erfahrungen hast Du bisher gemacht?

Jens: Ich bin geldfrei unterwegs. Für mich bedeutet das, in diesem Jahr wirklich ganz frei von Geld zu sein, bzw. kein Geld zu nutzen. Geld bedient das Angstsystem und ich habe mich ins Vertrauenssystem begeben. Ich bin angewiesen auf die Menschen, denen ich begegne, die mir etwas zum Essen und auch einen Platz zum Schlafen anbieten. Damit fällt die übliche Selbstverständlichkeit weg und ich lerne mich in die Hände und das Wohlwollen anderer Menschen zu begeben. Ich lerne zu bitten, zu danken. Anfangs war das schon eine Überwindung aber auf dem Weg verändert sich das gerade. Die Frage, werde ich betteln oder bitten, habe ich mir im Vorfeld schon angeschaut. Genau wie meine Entscheidung, ob ich in Stille oder „laut“ gehen werde. Eigentlich war ich früher eher schüchtern, ein ängstlicher Mensch und trotzdem möchte ich nicht nur einen inneren Lauf machen, sondern auch im Außen gehen, Dinge benennen, lesen, rezitieren, mich austauschen.

In den letzten zweieinhalb Monaten gab es auf jeden Fall auch Momente, wo ich wenig zu essen hatte, ein paar Dinkelkekse und einen Apfel. Auf dem Kölner Hauptbahnhof stand ich z.B. neben einer Mülltonne und eine Frau, die vorbeikam, warf so ganz beiläufig ihr nur halbgegessenes Brötchen, mit Käse, Tomaten und Gurke weg. Ich habe das Brötchen dann herausgefischt und gegessen. Es war meine erste Mahlzeit an dem Tag und es hat wunderbar geschmeckt. In einem Land, in dem 50% der Lebensmittel weggeworfen werden, ist es schon traurig, dass andererorts Menschen verhungern.

Jens in Köln3 schätze: Wie sind Deine weiteren Pläne? Hast Du eine bestimmte Route geplant? Gibt es Stationen auf Deinem Weg, die Du unbedingt besuchen möchtest?

Jens: Zunächst geht es jetzt gen Süden, Richtung Bodensee. Dort gibt es Einladungen von Freunden und ich möchte weitere Lebensgemeinschaften und Organisationen/Projekte besuchen, die sich z.B. mit den Themenfeldern Finanzsystem, Grundeinkommen, Demokratie, Formen der Entscheidungsfindung, Ökologie & Ernährung und deren Zusammenhänge beschäftigen. Spannend finde ich, die Selbstverständlichkeiten des Lebens oder der Lebensführung zu hinterfragen und alternative Modelle zu entdecken. Und das denke ich auf allen Ebenen, für mich persönlich und gesellschaftlich. Zu erfahren, dass es überall Menschen gibt, die nachhaltiger denken, Alternativen entwickeln, weckt grosse Hoffnung in mir. Vieles was mir begegnet, ist für mich neu und war all die Jahre noch gar nicht denkbar gewesen.

3 schätze: Während Deiner Reise liest Du immer wieder Texte und rezitierst Gedichte etc. Was sind das für Texte, wie wählst Du sie aus?

Jens: Die Texte kommen nach und nach zusammen. Ich werde auf sie aufmerksam, sie werden mir angerichtet, von Freunden und Menschen, mit denen ich auch über meine Kommunikationsplattformen im Internet in Verbindung bin, ich stoße zufällig auf sie.
Meine Sammlung ist sehr gemischt, es sind Texte mit aktuellen Bezügen, zum Beispiel ein offener Brief von Christian Dingler zu den Mordanschlägen auf Menschen, die aus ihren Ländern fliehen mußten, da ihre Menschenrechte, ihre Würde, Ihre Freiheit, ihr Leben dort genommen werden. Nicht zuletzt aufgrund unserer Haltung. Sie suchen hier Schutz und wir tun Ihnen noch einmal das an, vor dem sie fliehen mußten… Eine ewige Hölle.

Ich habe auch Gedichte und Texte dabei, die ich Menschen vorlesen und rezitiere, u.a. von Joseph Beuys und S.A.R.K., Rilke, Borges, Xavier Naidoo, Eric Burdon, Charlie Chaplin, Eric Kästner, von John Fire Lame Deer, Janice Jakait, Konstantin Wecker, Weiler, Walsh, Pavlof, Yassin, Buddha, das Grundgesetz, die Menschenrechte… Eine muntere Mischung aus Texten die mich und andere, bewegen, berühren, öffnen, aktuelle und bestimmte Texte. Kraftvolle und Mut machende Worte. Texte zu Geld, zu Demokratie und Mitbestimmung, zu Gesellschaftsformen, Möglichkeiten des Zusammenlebens.

3 schätze: Bringt der Friedensläufer den Frieden in die Welt oder läuft er für den innern Frieden?

Jens: Jeder Friedensläufer, jeder Mensch der einen, seinen inneren Weg zum Frieden geht, ist ein Schritt zum Frieden in der Welt. Jeder Schritt zum Frieden in der Welt ist ein richtiger Schritt, wenn er im inneren zu fühlen ist. Es ist einzig und allein wichtig den ersten Schritt zu machen und dann furchtlos weiter zu schreiten. Der Weg tut sich auf, wenn Du ja sagst. Und der Weg befindet sich auf allen Ebenen, egal wo Du den Schritt setzt, wird er sich öffnen und zeigen.

Ich mache einfach meine Schritte zum Frieden, auf dem Weg in eine lebenswerte und gerechte Zukunft für Alle! Das Leben ist ein kostbares und wundervolles Geschenk. Diese Welt und ihre Kreaturen… wunderschön.

Jens-Frieden-Lächeln3 schätze: Vielen Dank für dieses Interview. Und hier noch eine Info: Die ZDF Doku-Reihe „37 Grad begleitete Jens streckenweise auf seiner Route. Irgendwann wird man einiges davon im ZDF oder auf 3sat sehen…

Nein, nicht irgendwann, am 13.09.2016 war es soweit und die 37° Doku wurde im ZDF ausgestrahlt. In der ZDF-Mediathek könnt Ihr sie noch einmal anschauen.

Über seine Homepage (Blog) und über Facebook könnt Ihr Jens weiteren Weg verfolgen. Sollte er in Eurer Nähe sein…

Hier noch ein kurzer Film über Jens und sein Projekt:

 

 

13 Gedanken zu „„Ohne Zelt und ohne Geld“ – Ein Jahr zu Fuß durch Deutschland

  1. Ich möchte auch meine Zelte hier alle abbrechen komme aus Kamen in NRW und möchte auch dem Angstsystem nicht mehr untertäntig in die Augen schauen müssen ein Anschluss wäre und würde mir gelegen kommen.

    Alles Liebe Namasté
    Andreas der Mensch der in das Vertrauen schwingt durch Frequenzen die mich dort hin treiben.

    • Hallo Andreas, ich danke Dir für Deine Nachricht. Nun komme ich jetzt erst dazu, Dir zu antworten. Ich bin nicht abgeneigt, ein Stückchen in Begleitung zu gehen. Lass uns doch über email Kontakt aufnehmen.
      Canteskuya112@web.de
      Ich würde mich freuen.
      Lieber Gruß
      Jens

  2. Hallo Jens 🙂
    wow, ich find dein tun & wirken ganz wunderbar :)! vielen Dank Dir dafür !
    du ziehst gerade das durch was ich mir vor zwei Jahren vorgenommen hatte. Sehr beeindruckend!
    Solltest Du mal in Berlin vorbeischauen, meine Tür steht Dir offen.. 🙂
    Alles Liebe, viel Mut & Vertrauen!
    <3ritta

    • Liebe Britta,
      Ich danke Dir für Deinen Zuspruch.
      Warum hast Du es nicht getan? Vielleicht bist Du auf Deine Art schon längst unterwegs?
      Schreib mir gerne darüber per Mail.
      Canteskuya112@Web.de
      Bitte teile mir doch auch Deine Adresse mit. Ich würde Dich gerne besuchen, wenn ich irgendwann im nächsten Jahr in Berlin einlaufe.
      Lieber Gruß
      Jens

    • Liebe Angela, ich danke Dir.
      Bei Euch komme ich wohl vorbei, auf dem Weg vom Bodensee nach Berlin. Gerne nehme ich das Angebot an.
      Sende mir doch bitte Deine email-Adresse für die Kontaktaufnahme. Ich bin doch ohne Handy unterwegs.
      Ich freue mich und grüße Dich…Und Uwe.
      Beste Grüße
      Jens

    • Liebe Angela, ich danke Dir.
      Bei Euch komme ich wohl vorbei, auf dem Weg vom Bodensee nach Berlin. Gerne nehme ich das Angebot an.
      Sende mir doch bitte Deine email-Adresse für die Kontaktaufnahme an
      canteskuya@web.de
      Ich bin doch ohne Handy unterwegs.
      Ich freue mich auf Euch
      Beste Grüße auch an Uwe
      Jens

  3. Hallo Jens, ich kam soeben vom Abendgymnasium nach Hause,sprach vor der HAustür erst noch einmal mit einem Mitschüler über den sinn des Lebens, sehr inspirierend, danach im anschluss mit einer Nachbarin über den Sinn des Lebens und im Anschluss daran kam ich nach Hause und sah dort Deinen Link. Ich bin selbst grad dabei, mein Leben zu ändern. Ich habe vorher als Schauspieler,Caster und zum Schluss als Werbetexter gearbeitet und dann plötzlich alles aufgegeben und bin nach Münster in die Nähe meiner Tochter gezogen. Jetzt lebe ich hier, sehr karg, aber wesentlich zufriedener, weil ich dem gfanzen Konsum abgeschworen habe, erst aus Überzeugung und dann, im Laufe der Zeit auch aus der Not heraus, was mir aber aufgrund der Intention asnfangs nicht sehr schwer fiel. Ich muss noch konsequenter werden und weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin und Dein Beispiel hat mich erneut in diesem Gedanken bestärkt. Herzlichen Dank!

  4. Hallo,

    das war ein wirklich sehr interessanter Artikel. Wir selbst wandern auch gerne. Wir waren zu Letzt an Pfingsten wandern, als wir für eine Woche im http://www.hotel-erb.de/ Urlaub gemacht haben. In dieser Zeit waren wir die Natur im Umland erkunden. Es war wirklich sehr schön. Wobei das ja noch einmal ein Unterschied zu Ihren extrem Touren ist.

    Grüße

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