Stille in Bewegung – Die Vielfalt der Meditationen entdecken

Meditationsworkshop mit Julian Welzel

Wenn wir das Wort Meditation hören, denken wir zumeist an einen Buddha, wie er in sich selbst ruhend in Stille sitzt; ein wissendes, glückliches und entspanntes Lächeln auf seinem Gesicht. Ein Vor- und Sinnbild seit 2500 Jahren, dargestellt in vielen Statuen und Bildern und mittlerweile sogar im Westen in Form von Wohnzimmer-Deko verbreitet. Wer Meditation erfahren und ausprobieren will, mag deshalb denken: „Was so viele Jahre überdauert, muss einen wahren Kern haben. Ich werde also einfach in Stille sitzen wie der Buddha.“ Wer es tut, wird feststellen: Einfach ist es nicht. Und still schon gar nicht. Der Körper schmerzt, die Gedanken rattern unnachgiebig und ohne Pause. Und auch wenn es den wahren und wundervollen Kern gibt, kann man Jahre lang den Buddha nachahmen, ohne die Qualität von Meditation zu erfahren – eine frustrierende Erfahrung, die eventuell sogar den Stress, den man doch loswerden wollte, verstärkt.

Warum ist das so? Der indische Meister Osho hat dazu einmal treffend festgestellt, dass sich die Alltagsrealität und damit auch Körper und Geist des Menschen über 2500 Jahre gewandelt haben. ADHS und ‚burnout‘ unter dem Bodhi-Baum im Alten Indien? Kaum vorstellbar! Wir leben heute jedoch im Gegensatz zu Siddhartha Gautama in einer ganz anderen, modernen und hektischen Welt. Wir denken und wirtschaften schnell und viel, nehmen an ständiger Kommunikation über das Internet teil, nähern uns den Dingen fast ausschließlich in objektiven Betrachtung. In dieser Welt konzentrieren wir die meiste Energie in unseren Kopf, muten unserem Körper viel Stress zu und unterdrücken Emotionen, um Ziele oder unser Selbstbild zu erreichen. Setze ich mich in dieser Welt hin und kehre mich nach Innen, hallt diese Welt sehr lange nach. Der Körper ist voller Blockaden, die Energie verbleibt trotz bester Bemühungen im Kopf, das Herz verschlossen. Wir bleiben dann im Sitzen mit dem Bewusstsein immer an etwas hängen und stecken fest. Der Versuch einfach nur zu SEIN ist dann nicht mehr als ein komplexer Versuch des Verstandes und des MACHERS in uns – wir drehen uns im Kreis.

Auch wenn es unserem Verstand wie ein lästiger Umweg vorkommen mag, müssen wir deshalb bei unserem Körper und unserer Schwere anfangen und all den Ballast loslassen, den wir akkumuliert und mit uns herumgeschleppt haben. Es mag paradox klingen, aber wir müssen uns bewegen, um Stille erfahren zu können. Erst wenn wir das Grobe und unsere inneren Mauern aufgeweicht haben, können wir uns langsam dem Feineren und Subtileren in uns öffnen.

An wen richtet sich dieses Experimentieren mit Meditationstechniken?

  • Du wolltest schon immer Meditieren, weißt aber nicht, wo du starten sollst? Dann wird deine Erfahrung mit verschiedenen Meditationen dir nicht nur erste interessante Erfahrungen bescheren, sondern auch helfen zu sehen, wo es für dich los- bzw. weitergeht.
  • Du glaubst, Du kannst nicht still sitzen? Und deshalb ist Meditation nichts für dich? Dann kannst Du in diesem Workshop aktive Meditationen ausprobieren, die für Dich als Zugang vielleicht besser geeignet sind.
  • Du praktizierst bereits Meditation (egal welcher Richtung) aber hast das Gefühl festzustecken? Die anfänglich tiefen und bereichernden Erfahrungen sind Schmerzen, Frustration und gedanklicher Wiederholung oder Antriebslosigkeit gewichen? Dann ist es Zeit etwas zu verändern und Neues auszuprobieren.

In diesem Workshop lernst du eine Vielfalt von aktiven, bewegten und geleiteten Meditationen neben der Sitzmeditation kennen, die sich an diesem Spektrum von Körper bis Energie orientieren. Der Schwerpunkt liegt auf der Erfahrung, Du kannst einfach schauen, welche Methode in dir etwas bewegt – und dich vielleicht eine meditative Qualität erfahren lässt. Die Meditationen kommen aus verschiedenen spirituellen Schulen und Traditionen, von Buddhismus und Osho bis Taoismus und Meditationen von Julians Lehrern. Zur Teilnahme brauchst Du keine Vorkenntnisse.

 

Julian Welzel begann 2010 mit der Sitzmeditation Zazen im San Bo Dojo in Bonn. Es folgte eine lange Reise durch Klöster und Meditationszentren in Frankreich, Indien, China, Thailand und den USA, in denen er viele Meditationszugänge und spirituelle Schulen/Traditionen kennenlernte. Nach Massage-Ausbildungen in den achtsamen Massageformen Chi Nei Tsang (Bauchmassage) und  Ayurvedischer Massage bei Khun Ni in Thailand und Shikha Dhyan in Indien arbeitet Julian seit 2016 als selbstständiger Massagetherapeut in Köln.

Weitere Infos: www.julianwelzel.de

Ein Interview, dass ich 2016 mit Julian geführt habe, findest du hier

Termin: Sonntag, 26.11. 2017, 10:00 – 18:00 Uhr
Ort: 3 schätze | Heerstr. 167 | 53111 Bonn

Kosten: Der Workshoptag (8 Std. total) kostet pro Person von 50,00 € bis 90,00 €, je nach Deinem Gefühl und Deiner finanziellen Situation.

Anmeldungen: Anmelden kannst Du Dich über das unten stehende Anmeldeformular oder per E-Mail unter: info@3-schaetze.de

Anmeldungen sind verbindlich. Bei Nicht-Teilnahme (ohne Ersatz) oder Absagen ab 2 Tage vor der Veranstaltung, behalten wir uns vor, den Kostenbeitrag in voller Höhe einzufordern.

Für die Mittagspause ist ein „Potluck“ Mittagessen geplant, d.h. jede/r trägt etwas veganes zum Essen bei, aus dem wir ein schönes Buffet zusammenstellen können.

Der Workshop findet mit mindestens 6 Personen statt. Da die Plätze begrenzt sind, empfiehlt sich eine frühzeitige Anmeldung.

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SeeMoreFilm und O-Jukai – Eine Zen Zeremonie

„mehr sehen” heißt, ein

dringlicher und anders sehen, unter die Oberfläche zu schauen.

SeeMoreFilm entwickelt und produziert Filme zu relevanten Themen, die sich innovativ mit gesellschaftlichem Wandel befassen, wie Strategien zur gewaltfreien Konfliktlösung, soziale Gerechtigkeit, In

tegration. Menschen und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt. Während einer groflen O-Jukai Zeremonie, welche vom 8. – 12. Juni 2017 im Tempel La Gendronniere in Frankreich stattfand, hatten Carmen Eckhardt und ihr Partner, Gerardo Milsztein, Gelegenheit die Zeremonie

mit der Kamera begleiten…

3 schätze: Liebe Carmen, ich freue mich, dass wir dieses Interview führen können. Bitte erkläre uns doch zunächst einmal, welche Bedeutung die O-Jukai Zeremonie hat.

Carmen Eckhardt: Die O-Jukai ist eine fünf Tage dauernde, sehr berührende Buddhistische Zeremonie im Soto Zen, während  der  den Teilnehmenden das Kechimyaku oder Ketsumyaku überreicht wird. Das Kechimyaku/Ketsumyaku – das Wort kommt aus dem japanischen

– ist ein Zeritifikat mit der Aufstellung der Abstammungslinie aller Zen Meister einer Zen-Linie. Die Schüler nehmen während der Zeremonie die buddhistischen Gebote an und verbinden sich mit allen vorangegangenen Generationen von Meistern, zurück bis zu Buddha. Von da an gehören sie offiziell zur spirituellen Familie dieser Zen Linie.

3 schätze: Wie kam es, dass Ihr die Zeremonie filmen konntet und nun daraus die Dokumentation „O-Jukai Impression“ entstanden ist?

Carmen Eckhardt: Seit 14 Jahren bin ich selbst Zen Praktizierende und habe auch an der Zeremonie teilgenommen. Als ich erfuhr dass diese Zeremonie zum aller ersten Mal in Europa durchgeführt werden würde, hatte ich die Idee ein Film darüber zu machen. Die europäischen Zenmeister die für die Vorbereitung verantwortlich waren, fanden die Idee gut und so ist das Projekt zustandegekommen. Das Besondere an dem Projekt war auch: Es stand leider kein Geld für die Produktion zur Verfügung und dass wir dann diesen Film per Crowdfunding finanziert haben, d.h. alle Interessierten haben Geld gegeben und geholfen Geld zu sammeln, damit dieser Film finanziert werden konnte. Als er dann fertig war haben alle Unterstützer eine DVD bekommen. Das hat wunderbar funktioniert. Es ist somit ein Film von vielen.

Da ich selbst an der Zeremonie teilgenommen habe, konnte ich währenddessen nicht im üblichen Sinn Regie führen. Gerardo Milsztein, der Kameramann, war ganz auf sich gestellt und musst quasi mitatmen, um immer nah dran zu sein und gleichzeitig unsichtbar sein, um nicht zu stören. Das ist ihm super gelungen. Das O-Jukai war für die Teilnehmenden auch viel emotionaler, als man das von anderen Zen-Veranstaltungen kennt und erwartet.

3 schätze: Wie hast Du das Zusammentreffen der japanischen Delegation und den europäischen Zen-Praktizierenden empfunden?

Carmen Eckhardt: Alle waren neugierig, keiner wusste so recht, was auf ihn zukommt. Es reisten an die 30 japanische Mönche an und einige hochrangige Zenmeister. Die Wenigsten sprachen englisch, das machte die Kommunikation ausgesprochen spannend. Die japanischen Mönche waren genauso aufgeregt und angespannt, wie die europäischen Nonnen, Mönche und Meister. Ob sie es wohl schaffen würden den Europäern in so kurzer Zeit die Essenz der Zeremonien zu erklären, auch die Durchführung der vielen Zeremonien. Die Zeremonien waren teilweise sehr kompliziert und aufwendig und die Europäer waren aufgeregt, weil sie in die Zeremonien eingebunden waren, aber überhaupt nicht wussten, was auf sie zukommt. Die Verständigung lief dann teilweise auch nonverbal, nur über die Instrumente, über Zeichensprache . Das war schon sehr spannend und ungewöhnlich. Alle haben sich große Mühe gegeben und waren sehr achtsam und aufmerksam aufeinander. Das ganze Zusammenwachsen es war ein eindrucksvolles EAST meets WEST. Während der fünf Tage wuchsen alle zu einer großen Gemeinschaft zusammen. Beide Seiten haben viel voneinander lernen können.

3 schätze: Erzähl uns doch noch ein wenig über Eure weitere Arbeit mit SeeMoreFilm.

Carmen Eckhardt: Unser nächstes Projekt ist ein internationaler Kino Dokumentarfilm und den werden wir auch per Crowdfunding finanzieren. Es geht in dem Film um eine Vision, die mittlerweile sehr viele Menschen teilen: Es geht um andere Formen des Lebens in Gemeinschaft – jenseits der Zerstörung der Natur, jenseits des Turbokonsums und Turbokapitalismus und der Globalisierung – selbstbestimmt und doch gemeinschaftlich, mit einer Kultur des Teilens und Schenkels, in denen respektvolle, liebevolle Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur in Mittelpunkt stehen. Nicht wenige Menschen haben sich weltweit in einer Vielfalt von Gemeinschaften zusammen gefunden und leben – auch wenn es viele Hürden gib – diese Vision. Wir möchten Menschen dabei begleiten.

3 schätze: Herzlichen Dank für dieses Interview und viel Erfolg mit Euren nächsten Projekten.

Die 52-minütige Dokumentation enthält englische und französische Sprache.

Hier ein Trailer

Infos:

SeeMoreFilm
Carmen Eckhardt
Auf der Ruhr 25
50999 Köln
Tel.: +49 2236 3313636
www.seemorefilm.de

 

 

 

Zen & Sensory Awareness – Ein Interview mit Kiku Christina Lehnherr

Die unmittelbare Erfahrung dessen, was im Moment ist

Sensory Awarenes-Lehrer Stefan Laeng-Gilliatt im Gespräch mit Christina Lehnherr, ehemalige Äbtissin des San Francisco Zen Centers.

    

Stefan: Uns verbindet auf der einen Seite, dass wir eine starke Verbindung sowohl mit dem Buddhismus als auch mit Sensory Awareness haben. Dazu kommt aber noch, dass wir beide vor vielen Jahren aus der Schweiz in die USA ausgewandert sind, weil uns etwas wichtiger wurde, als die Bindung an die Heimat. Uns hat eine andere Art von Heimat unwiderstehlich angezogen.

Christina: Ich begann so ab 1982 mit Charlotte Selver in der Schweiz und in Deutschland zu arbeiten. Ihre Arbeit, Sensory Awareness, ist für mich eine Ergänzung zum dem, worauf der Zen Buddhismus aus ist: unmittelbare Erfahrung dessen, was im Moment ist. Es ist einfach eine andere Vorgehensweise, ein anderer Weg zum selben Ziel und ich mag die Körperlichkeit von Sensory Awareness. Sie korrespondiert auch damit, dass unsere Biografie, unsere innere und äußere Konditionierung, unsere Gewohnheiten, im Körper gespiegelt werden. Du wirst Dich an Charlottes Anweisungen erinnern: “Kommt vom Stehen zum Sitzen, zum Liegen. Wie begleitet Euch die Schwerkraft dabei?” Da zeigte sich immer sofort, wenn ich mich verspannte und dass das alte Gewohnheiten waren. Wohl konnte ich diese Verspannungen nicht einfach loslassen aber das Wahrnehmen hat sie mit der Zeit gelöst.

Manchmal stellte sie auch diese Frage, die ich nicht ausstehen konnte. Mitten im Probieren sagte sie dann: “Wo will es hin?”. Die Frage brachte mich jedesmal völlig aus der Fassung. Ich geriet in eine Panik, hatte keine Empfindungen mehr, keine Gedanken. Ich spüre das heute noch. Wenn ich daran denke, überlaufen mich Schauer.

Stefan: Weshalb? Weil es keine intellektuelle Antwort darauf gibt?

Christina: Nein. Ich hatte gelernt, nicht mehr zu wissen, wohin es wollte, weil ich dann als Kind immer in Schwierigkeiten kam. Deshalb war das die gefährlichste Frage und es war gefährlich, das zu wissen. Dahinter stand die Überzeugung dass, wenn es dahin ginge, wo es wollte, herauskäme, dass ich ein widerliches, abscheuliches, schreckliches Kind bin, das man absolut nicht lieben kann. Ich wusste damals bei Charlotte nicht, das es so schlimm stand mit mir, glaube aber, dass ich deshalb immer wieder zu ihr ging. Ich wusste, dass da etwas war, hätte aber nicht sagen können, was. Ihre Vorgehensweise war subversiv.

Stefan: Subversiv?

Christina: Ja, sie unterlief meine gewohnte Art meine Welt zu ordnen. Die Antwort war nicht im Kopf sondern im Körper. Und meinem Körper habe ich nicht getraut.

Stefan: Du gingst dann auch in eine 3-monatige Study Group nach Kalifornien. Wann war das?

Christina: Ich ging drei Mal hin. Das erste Mal 1988. Ich wäre wohl nicht nur wegen Charlotte gegangen. Ich wollte auch meine Zen-Praxis wieder aufnehmen und da die Study Group auf der Green Gulch Farm des San Francisco Zen Center’s war, hat mich das auch angezogen. Weder das Eine noch das Andere alleine hätte mich dahin gebracht aber beides zusammen war die perfekte Kombination. Ich ging also, nahm so oft ich konnte auch am Klosterleben teil – und blieb dann unerwartet gleich für ein ganzes Jahr im Zen Center. Weisst Du, vor Allem in den ersten zwei Study Groups gab mir ihre Arbeit oft einen direkten Zugang zu den “Chants” und zu den Lehren des Buddha. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen: Ich kam eines Morgens in einer total miesen Stimmung zum Kurs. Ich war schrecklich genervt, worüber weiß ich nicht mehr. Und plötzlich hatte ich dieses Erlebnis. Es war total wortlos, reine Empfindung, die ich nur versuchsweise in Worte fassen kann: Ich fand mich plötzlich ganz tief in der gegebenen Aufgabe. Das führte zu Erfahrung, was zu weiterer Erfahrung führte und so weiter und so weiter, ohne Ende. Und da war einfach kein Raum und kein Grund für Ärger. Aber sobald ich das bemerkte, flippte etwas in mir aus und begann sich mit Händen und Füssen an meiner miesen Stimmung festzuhalten. Da verstand ich, was damit gemeint war, wenn die Lehre von diesem imaginären Selbst sprach, das wir uns erschaffen und dann ‚Ich‘ nennen, dieses Selbst welches dann alles und alle danach beurteilt, was es für mich tut oder nicht tut. Und wie schnell das geschieht (schnippt mit den Fingern), dieses Identifizieren und Anhaften.

Ich stand da und erlebte all dies, amüsiert und mitfühlend zugleich, und dachte: “Ach, so geht das!” Und ich dachte, wie dumm, aber ohne Wertung, einfach erstaunt. So wie man einem kleinen Kind zusieht, das etwas unmögliches versucht und dann nochmal versucht und nochmal. Das habe ich nie vergessen und so oft, wenn ich mit ihr gearbeitet habe, habe ich sozusagen am lebendigen Leibe erlebt, worauf die Lehre zielt.

Stefan: Ein schönes Erlebnis.

Christina: Es war ein großes Geschenk. Ich kann es immer noch fühlen, kann es wieder wachrufen. Es war so klar, ohne Frage.

Stefan: Und wie ging es dann weiter in der Stunde?

Christina: Na ja, ich arbeitete weiter aber nun verstand ich, worum es ging, was die Lehre meint, wie Sensory Awareness uns auf dem Weg hilft. In diesem Sinne sehe ich Sensory Awareness und Zen als sehr verbunden. Zen ist ein sehr körperlicher Ansatz, ein Sinnes-Erleben. Ich lerne nicht besonders gut durch Lesen oder Denken. Ich muss erst erleben, dann erst verstehe ich: ach, so haben sie das in Worte gefasst! In diesem Sinne ist Charlottes Vorgehensweise Teil meines Lebens geworden, war es vielleicht schon immer gewesen.

Stefan: Damit hast du jetzt vielleicht schon eine meiner Fragen beantwortet, nämlich, wie Sensory Awareness und Zen zusammenpassen. Für Außenstehende sehen die Beiden sehr verschieden aus: Im Zen dominieren Form und Struktur und das ist so ganz anders mit Sensory Awareness.

Christina: Und doch hat Charlotte unsere Stunden mit stillem Sitzen begonnen. Sie hat eine Glocke geläutet. Wir durften das Wort “Übung“ nie in den Mund nehmen.

Stefan: Oder “Körper”!

Christina: Körper, ja. Und “Normal“.

Stefan: Und stundenlang hat sie uns dazu aufgefordert, vom Sitzen zum Stehen zu kommen. Es war wie tägliches Zazen, man praktizierte, egal ob man saß oder ging. Ich glaube auch, dass es nichts gibt, das nicht Form hat.

Christina: Und natürlich ist nichts nur Form, es ist auch leer. Für mich zielen beide Lehren auf dasselbe – und ich denke, dass gilt auch für das Christentum, den Islam, das Judentum – wie die Speichen eines Rades führen sie zum Sein. Zu einem Leben, das nicht von unseren Vorstellungen begrenzt ist, von Ideen über uns, von Geschichten, die wir uns erzählen, zu was wir fähig sind oder nicht fähig sind, wie wir die Welt kontrollieren müssen, um in Sicherheit zu leben. Wir können diese Fallen nicht vermeiden, sie gehören wohl zum Erwachsenwerden. Deshalb heißt es in der Bibel auch: „Ihr sollt wie die Kinder werden.” Es heißt nicht, wir sollen Kinder bleiben. Wenn wir Kinder blieben, könnten wir uns nicht in dieser Welt zurechtfinden. Aber wir müssen dahin zurückfinden, wie Kinder zu erleben, direkt, ungefiltert. Ich glaube, das war Charlottes Ziel, und das ist das Ziel des Buddhismus – und bestimmt aller mystischen Richtungen. Nur die Formen sind verschieden.

Am Ende sind wir aber wohl gar nicht so frei in der Wahl der Form. Sie muss passen. Ich habe diese Tendenz zu Strenge und Disziplin und wie ich zum Zen kam, dachte ich erst, dass es vielleicht gar nicht das Beste für mich war und diese Tendenz nur verstärken würde. Aber die Einfachheit und Klarheit von Zen öffnet mich innerlich, ich werde lebendig. Die strikten Formen geben Raum für das Weiche in mir. Ähnlich geht es mir in romanischen Kirchen. Die strenge Architektur gibt mir Raum. Wir sollten uns von den Formen nicht irreführen lassen. Wir müssen die uns passenden finden. Sie dürfen die Arbeit nicht schwieriger machen, sondern sollen sie unterstützen. Wenn wir unsere Energie an unpassenden Formen verausgaben, können wir die innere Arbeit nicht tun.

Stefan: Das ist schön gesagt. Der Lebensweg muss erfahrend gefunden werden. Ich weiß nicht, ob ich dafür die richtigen Worte finde. Die richtigen Entscheidungen können nicht einfach mit Denken gefällt werden, wir müssen sie sozusagen ertasten. Das erinnert mich an die Zeit, als ich für Charlotte sorgte. Ich ging zu Marion Rosen in eine “Behandlung”. Sie tastete meinen Rücken ab und sagte dann plötzlich: “Weißt Du, Du bist kein Mönch. Du gibst Dir zwar sehr Mühe, bist aber keiner. Wenn Dir das liegen würde, müsstest Du Dich nicht so aufrecht halten im Sitzen. Dann wärst du aufrecht.” Das hat mich damals sehr beeindruckt. Bis heute habe ich diese zwei Seiten in mir, den Mönch und den “Haushälter”. Ich denke, ich sollte ein Mönch sein, bin es aber nicht. Das konnte sie sofort in meinen Geweben spüren. Da gibt es diese Spannung zwischen dem, wie ich denke, wie ich sein sollte und wie das Leben will, dass ich bin.

Christina: Ja, wo will es hin, ist die Frage.

Stefan: Ja, und ich fürchte mich vor der Antwort.

Christina: Vielleicht will es nicht, wie Du willst.

Stefan: Oder wie ich denke, dass ich sollte.

Christina: Aber wenn Du diesen Widerspruch in Dir trägst, dann interessiert mich die Frage: Wie kann ein Mönch in der Welt leben? Anstatt zu sagen: „Ich bin eben kein Mönch”, stellt sich die Frage, wie gestaltet ein Mönch ein Leben als “Haushälter”. Du bist bestimmt beides.

Stefan: Das stimmt.

Christina: Ein Mönchsleben muss nicht so aussehen, wie Du denkst. Ich glaube, dass wir in einer Weise alle Mönche sind, die meisten wissen es nur nicht. Ich meine damit, dass wir eigentlich alle ein einsames Leben führen, das niemand mit uns teilt. Wie Kodo Sawaki sehr ungeschminkt sagte: Du kannst nicht für jemand anderen furzen. Rilke sagte es poetischer: “Was Not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. In-sich-gehen und stundenlang niemandem begegnen – das muß man erreichen können”. Was er auch sagt, und das ist die andere Seite der Medaille, dass jemanden zu lieben das schwierigste in der Welt ist. Und über’s Zusammenleben sagt er, dass “die gute Ehe die ist, in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt und ihm dieses größte Vertrauen beweist, das er zu verleihen hat.”

Das vollständige Interview, das im Rahmen von Stefans “Charlotte Selver Oral History and Book Project” am 18. April 2011 in Mill Valley, California, geführt wurde, kann in englischer Sprache auf http://charlotteselverbook.org/Pages/Christina%20Lehnherr.html angehört werden.

Kiku Christina Lehnherr war Äbtissin von San Francisco Zen Center’s City Center von 2012 bis 2014. In ihrem Herkunftsland, der Schweiz, arbeitete sie als ausgebildete Physiotherapeutin und Klinische Psychologin. Als Schülerin von Tenshin Reb Anderson wurde sie 1993 zur Priesterin ordiniert und erhielt 2005 von im die Dharma-Übertragung. Mit Charlotte Selver studierte sie Sensory Awareness seit 1982 und wurde von ihr als Lehrerin (Leader) autorisiert. Sie lebt und lehrt heute in Marin County in Kalifornien.

Stefan Laeng-Gilliatt praktiziert Sensory Awareness und verwandte Arbeiten seit 1980. Er studierte mit LehrerInnen in der Schweiz und den USA. Mit Charlotte Selver arbeitete er von 1991 bis zu ihrem Tod 2003 intensiv zusammen, als Schüler wie auch in gemeinsamen Kursen. Er erhielt von ihr 1996 die Lehrberechtigung. Buddhistische Meditation und Philosophie bilden seit den frühen 80er Jahren eine Grundlage seiner Arbeit und seines Lebens. Er ist Executive Manager der Sensory Awareness Foundation und bietet sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht und Workshops an. Er arbeitet zur Zeit an einem Oral History und Buchprojekt über Leben und Wirken von Charlotte Selver. Stefan lebt in Hancock, New Hampshire, USA.

Web Site: www.mindfulnessinmotion.net