Zen & Sensory Awareness – Ein Interview mit Kiku Christina Lehnherr

Die unmittelbare Erfahrung dessen, was im Moment ist

Sensory Awarenes-Lehrer Stefan Laeng-Gilliatt im Gespräch mit Christina Lehnherr, ehemalige Äbtissin des San Francisco Zen Centers.

    

Stefan: Uns verbindet auf der einen Seite, dass wir eine starke Verbindung sowohl mit dem Buddhismus als auch mit Sensory Awareness haben. Dazu kommt aber noch, dass wir beide vor vielen Jahren aus der Schweiz in die USA ausgewandert sind, weil uns etwas wichtiger wurde, als die Bindung an die Heimat. Uns hat eine andere Art von Heimat unwiderstehlich angezogen.

Christina: Ich begann so ab 1982 mit Charlotte Selver in der Schweiz und in Deutschland zu arbeiten. Ihre Arbeit, Sensory Awareness, ist für mich eine Ergänzung zum dem, worauf der Zen Buddhismus aus ist: unmittelbare Erfahrung dessen, was im Moment ist. Es ist einfach eine andere Vorgehensweise, ein anderer Weg zum selben Ziel und ich mag die Körperlichkeit von Sensory Awareness. Sie korrespondiert auch damit, dass unsere Biografie, unsere innere und äußere Konditionierung, unsere Gewohnheiten, im Körper gespiegelt werden. Du wirst Dich an Charlottes Anweisungen erinnern: “Kommt vom Stehen zum Sitzen, zum Liegen. Wie begleitet Euch die Schwerkraft dabei?” Da zeigte sich immer sofort, wenn ich mich verspannte und dass das alte Gewohnheiten waren. Wohl konnte ich diese Verspannungen nicht einfach loslassen aber das Wahrnehmen hat sie mit der Zeit gelöst.

Manchmal stellte sie auch diese Frage, die ich nicht ausstehen konnte. Mitten im Probieren sagte sie dann: “Wo will es hin?”. Die Frage brachte mich jedesmal völlig aus der Fassung. Ich geriet in eine Panik, hatte keine Empfindungen mehr, keine Gedanken. Ich spüre das heute noch. Wenn ich daran denke, überlaufen mich Schauer.

Stefan: Weshalb? Weil es keine intellektuelle Antwort darauf gibt?

Christina: Nein. Ich hatte gelernt, nicht mehr zu wissen, wohin es wollte, weil ich dann als Kind immer in Schwierigkeiten kam. Deshalb war das die gefährlichste Frage und es war gefährlich, das zu wissen. Dahinter stand die Überzeugung dass, wenn es dahin ginge, wo es wollte, herauskäme, dass ich ein widerliches, abscheuliches, schreckliches Kind bin, das man absolut nicht lieben kann. Ich wusste damals bei Charlotte nicht, das es so schlimm stand mit mir, glaube aber, dass ich deshalb immer wieder zu ihr ging. Ich wusste, dass da etwas war, hätte aber nicht sagen können, was. Ihre Vorgehensweise war subversiv.

Stefan: Subversiv?

Christina: Ja, sie unterlief meine gewohnte Art meine Welt zu ordnen. Die Antwort war nicht im Kopf sondern im Körper. Und meinem Körper habe ich nicht getraut.

Stefan: Du gingst dann auch in eine 3-monatige Study Group nach Kalifornien. Wann war das?

Christina: Ich ging drei Mal hin. Das erste Mal 1988. Ich wäre wohl nicht nur wegen Charlotte gegangen. Ich wollte auch meine Zen-Praxis wieder aufnehmen und da die Study Group auf der Green Gulch Farm des San Francisco Zen Center’s war, hat mich das auch angezogen. Weder das Eine noch das Andere alleine hätte mich dahin gebracht aber beides zusammen war die perfekte Kombination. Ich ging also, nahm so oft ich konnte auch am Klosterleben teil – und blieb dann unerwartet gleich für ein ganzes Jahr im Zen Center. Weisst Du, vor Allem in den ersten zwei Study Groups gab mir ihre Arbeit oft einen direkten Zugang zu den “Chants” und zu den Lehren des Buddha. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen: Ich kam eines Morgens in einer total miesen Stimmung zum Kurs. Ich war schrecklich genervt, worüber weiß ich nicht mehr. Und plötzlich hatte ich dieses Erlebnis. Es war total wortlos, reine Empfindung, die ich nur versuchsweise in Worte fassen kann: Ich fand mich plötzlich ganz tief in der gegebenen Aufgabe. Das führte zu Erfahrung, was zu weiterer Erfahrung führte und so weiter und so weiter, ohne Ende. Und da war einfach kein Raum und kein Grund für Ärger. Aber sobald ich das bemerkte, flippte etwas in mir aus und begann sich mit Händen und Füssen an meiner miesen Stimmung festzuhalten. Da verstand ich, was damit gemeint war, wenn die Lehre von diesem imaginären Selbst sprach, das wir uns erschaffen und dann ‚Ich‘ nennen, dieses Selbst welches dann alles und alle danach beurteilt, was es für mich tut oder nicht tut. Und wie schnell das geschieht (schnippt mit den Fingern), dieses Identifizieren und Anhaften.

Ich stand da und erlebte all dies, amüsiert und mitfühlend zugleich, und dachte: “Ach, so geht das!” Und ich dachte, wie dumm, aber ohne Wertung, einfach erstaunt. So wie man einem kleinen Kind zusieht, das etwas unmögliches versucht und dann nochmal versucht und nochmal. Das habe ich nie vergessen und so oft, wenn ich mit ihr gearbeitet habe, habe ich sozusagen am lebendigen Leibe erlebt, worauf die Lehre zielt.

Stefan: Ein schönes Erlebnis.

Christina: Es war ein großes Geschenk. Ich kann es immer noch fühlen, kann es wieder wachrufen. Es war so klar, ohne Frage.

Stefan: Und wie ging es dann weiter in der Stunde?

Christina: Na ja, ich arbeitete weiter aber nun verstand ich, worum es ging, was die Lehre meint, wie Sensory Awareness uns auf dem Weg hilft. In diesem Sinne sehe ich Sensory Awareness und Zen als sehr verbunden. Zen ist ein sehr körperlicher Ansatz, ein Sinnes-Erleben. Ich lerne nicht besonders gut durch Lesen oder Denken. Ich muss erst erleben, dann erst verstehe ich: ach, so haben sie das in Worte gefasst! In diesem Sinne ist Charlottes Vorgehensweise Teil meines Lebens geworden, war es vielleicht schon immer gewesen.

Stefan: Damit hast du jetzt vielleicht schon eine meiner Fragen beantwortet, nämlich, wie Sensory Awareness und Zen zusammenpassen. Für Außenstehende sehen die Beiden sehr verschieden aus: Im Zen dominieren Form und Struktur und das ist so ganz anders mit Sensory Awareness.

Christina: Und doch hat Charlotte unsere Stunden mit stillem Sitzen begonnen. Sie hat eine Glocke geläutet. Wir durften das Wort “Übung“ nie in den Mund nehmen.

Stefan: Oder “Körper”!

Christina: Körper, ja. Und “Normal“.

Stefan: Und stundenlang hat sie uns dazu aufgefordert, vom Sitzen zum Stehen zu kommen. Es war wie tägliches Zazen, man praktizierte, egal ob man saß oder ging. Ich glaube auch, dass es nichts gibt, das nicht Form hat.

Christina: Und natürlich ist nichts nur Form, es ist auch leer. Für mich zielen beide Lehren auf dasselbe – und ich denke, dass gilt auch für das Christentum, den Islam, das Judentum – wie die Speichen eines Rades führen sie zum Sein. Zu einem Leben, das nicht von unseren Vorstellungen begrenzt ist, von Ideen über uns, von Geschichten, die wir uns erzählen, zu was wir fähig sind oder nicht fähig sind, wie wir die Welt kontrollieren müssen, um in Sicherheit zu leben. Wir können diese Fallen nicht vermeiden, sie gehören wohl zum Erwachsenwerden. Deshalb heißt es in der Bibel auch: „Ihr sollt wie die Kinder werden.” Es heißt nicht, wir sollen Kinder bleiben. Wenn wir Kinder blieben, könnten wir uns nicht in dieser Welt zurechtfinden. Aber wir müssen dahin zurückfinden, wie Kinder zu erleben, direkt, ungefiltert. Ich glaube, das war Charlottes Ziel, und das ist das Ziel des Buddhismus – und bestimmt aller mystischen Richtungen. Nur die Formen sind verschieden.

Am Ende sind wir aber wohl gar nicht so frei in der Wahl der Form. Sie muss passen. Ich habe diese Tendenz zu Strenge und Disziplin und wie ich zum Zen kam, dachte ich erst, dass es vielleicht gar nicht das Beste für mich war und diese Tendenz nur verstärken würde. Aber die Einfachheit und Klarheit von Zen öffnet mich innerlich, ich werde lebendig. Die strikten Formen geben Raum für das Weiche in mir. Ähnlich geht es mir in romanischen Kirchen. Die strenge Architektur gibt mir Raum. Wir sollten uns von den Formen nicht irreführen lassen. Wir müssen die uns passenden finden. Sie dürfen die Arbeit nicht schwieriger machen, sondern sollen sie unterstützen. Wenn wir unsere Energie an unpassenden Formen verausgaben, können wir die innere Arbeit nicht tun.

Stefan: Das ist schön gesagt. Der Lebensweg muss erfahrend gefunden werden. Ich weiß nicht, ob ich dafür die richtigen Worte finde. Die richtigen Entscheidungen können nicht einfach mit Denken gefällt werden, wir müssen sie sozusagen ertasten. Das erinnert mich an die Zeit, als ich für Charlotte sorgte. Ich ging zu Marion Rosen in eine “Behandlung”. Sie tastete meinen Rücken ab und sagte dann plötzlich: “Weißt Du, Du bist kein Mönch. Du gibst Dir zwar sehr Mühe, bist aber keiner. Wenn Dir das liegen würde, müsstest Du Dich nicht so aufrecht halten im Sitzen. Dann wärst du aufrecht.” Das hat mich damals sehr beeindruckt. Bis heute habe ich diese zwei Seiten in mir, den Mönch und den “Haushälter”. Ich denke, ich sollte ein Mönch sein, bin es aber nicht. Das konnte sie sofort in meinen Geweben spüren. Da gibt es diese Spannung zwischen dem, wie ich denke, wie ich sein sollte und wie das Leben will, dass ich bin.

Christina: Ja, wo will es hin, ist die Frage.

Stefan: Ja, und ich fürchte mich vor der Antwort.

Christina: Vielleicht will es nicht, wie Du willst.

Stefan: Oder wie ich denke, dass ich sollte.

Christina: Aber wenn Du diesen Widerspruch in Dir trägst, dann interessiert mich die Frage: Wie kann ein Mönch in der Welt leben? Anstatt zu sagen: „Ich bin eben kein Mönch”, stellt sich die Frage, wie gestaltet ein Mönch ein Leben als “Haushälter”. Du bist bestimmt beides.

Stefan: Das stimmt.

Christina: Ein Mönchsleben muss nicht so aussehen, wie Du denkst. Ich glaube, dass wir in einer Weise alle Mönche sind, die meisten wissen es nur nicht. Ich meine damit, dass wir eigentlich alle ein einsames Leben führen, das niemand mit uns teilt. Wie Kodo Sawaki sehr ungeschminkt sagte: Du kannst nicht für jemand anderen furzen. Rilke sagte es poetischer: “Was Not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. In-sich-gehen und stundenlang niemandem begegnen – das muß man erreichen können”. Was er auch sagt, und das ist die andere Seite der Medaille, dass jemanden zu lieben das schwierigste in der Welt ist. Und über’s Zusammenleben sagt er, dass “die gute Ehe die ist, in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt und ihm dieses größte Vertrauen beweist, das er zu verleihen hat.”

Das vollständige Interview, das im Rahmen von Stefans “Charlotte Selver Oral History and Book Project” am 18. April 2011 in Mill Valley, California, geführt wurde, kann in englischer Sprache auf http://charlotteselverbook.org/Pages/Christina%20Lehnherr.html angehört werden.

Kiku Christina Lehnherr war Äbtissin von San Francisco Zen Center’s City Center von 2012 bis 2014. In ihrem Herkunftsland, der Schweiz, arbeitete sie als ausgebildete Physiotherapeutin und Klinische Psychologin. Als Schülerin von Tenshin Reb Anderson wurde sie 1993 zur Priesterin ordiniert und erhielt 2005 von im die Dharma-Übertragung. Mit Charlotte Selver studierte sie Sensory Awareness seit 1982 und wurde von ihr als Lehrerin (Leader) autorisiert. Sie lebt und lehrt heute in Marin County in Kalifornien.

Stefan Laeng-Gilliatt praktiziert Sensory Awareness und verwandte Arbeiten seit 1980. Er studierte mit LehrerInnen in der Schweiz und den USA. Mit Charlotte Selver arbeitete er von 1991 bis zu ihrem Tod 2003 intensiv zusammen, als Schüler wie auch in gemeinsamen Kursen. Er erhielt von ihr 1996 die Lehrberechtigung. Buddhistische Meditation und Philosophie bilden seit den frühen 80er Jahren eine Grundlage seiner Arbeit und seines Lebens. Er ist Executive Manager der Sensory Awareness Foundation und bietet sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht und Workshops an. Er arbeitet zur Zeit an einem Oral History und Buchprojekt über Leben und Wirken von Charlotte Selver. Stefan lebt in Hancock, New Hampshire, USA.

Web Site: www.mindfulnessinmotion.net

Netzwerk Buddhismus in Bonn – Ein Gespräch mit Barbelies Wiegmann

Manchmal denkt man vielleicht jahrelang über etwas nach, verwirft die Idee wieder und wieder, bis dann jemand zum richtigen Zeitpunkt die Initiative übernimmt. Barbelies Wiegmann, Zen-Praktizierende seit einer Zeit, als das Sitzen in Stille noch etwas sehr exotisches war, hat sich aufgemacht ein Netzwerk Buddhismus in Bonn zu gründen. Zeit für ein Interview…

3 schätze: Liebe Barbelies, ich freue mich, dass wir dieses kleine Interview führen. Magst Du kurz etwas zu Deiner Person erzählen?

Barbelies Wiegmann: Von Hause aus bin ich Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Familienrecht. Aber schon seit fast 20 Jahren arbeite ich als Anwalts-Mediatorin in Familienkonflikten.

3 schätze: Obwohl wir ja beide auf dem Zen Weg wandeln und hier im schönen Bonn wohnen, haben wir uns erst vor etwas über einem Jahr wirklich kennengelernt, als Du das „Netzwerk Buddhismus in Bonn“ ins Leben gerufen hast. Was war die Motivation für ein solches Netzwerk?

Barbelies Wiegmann: Nach und nach erfuhr ich, dass es in Bonn zahlreiche buddhistische Gemeinschaften gibt, die kaum oder gar nichts voreinander wissen. Das wollte ich ändern, denn auch bei der traditionell verschiedenen Praxis der Gruppen sind doch alle im Grunde auf dem Weg des Buddha. Ich wünschte mir neben meiner kleinen Sangha auch eine große Sangha Bonn, damit wir uns untereinander kennen lernen, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede reden und gemeinsame Projekte planen – aber auch, damit der Buddhismus in Bonn Gesicht und Stimme haben kann.

3 schätze: Machen alle oder doch die meisten buddhistischen Gruppen in Bonn mit?

Barbelies Wiegmann: Soweit ich sehe, sind fast alle Gruppen am Netzwerk interessiert und machen auch mit, natürlich manche mehr und manche weniger.

3 schätze: Welche Ideen verfolgt das Netzwerk? Gibt es gemeinsame Projekte?

Barbelies Wiegmann: Bis jetzt gibt es zwei gemeinsame Projekte: Seit 2016 ist eine Filmreihe in der Bonner Kinemathek (Brotfabrik) entstanden, in der jeden vierten. Mittwoch im Monat ein Film mit buddhistischer Thematik gezeigt wird.

Das zweite gemeinsame Projekt ist die gemeinsame Feier des Vesakh-Festes. Dieses Fest haben wir zum ersten Mal im Mai dieses Jahres, traditionsübergreifend, sehr schön und würdevoll gefeiert. Für 2018 planen wir eine solche Feier, vielleicht im größeren Rahmen. Weitere Projekte sind möglich.

3 schätze: Was ist Deine Rolle als Koordinatorin?

Barbelies Wiegmann: Zunächst habe ich ein erstes Treffen im April 2016 organisiert, nachdem ich vorher endlich erfolgreich beim Ermitteln aller Adressen war. Seitdem greife ich alle Mitteilungen, Vorschläge und Anregungen von Einzelnen oder aus Gruppen auf und leite sie an alle übrigen weiter, manchmal stelle ich diese zur Diskussion..

Für 2017 hatte ich bereits im März zu einem Treffen eingeladen. Ein neues Treffen steht an im Herbst, vor allem, um das Vesakh-Fest 2018 vorzubereiten.

3 schätze: Gibt es schon Pläne, wie das Vesakh Fest im kommenden Jahr gestaltet werden soll?

Barbelies Wiegmann: Es gibt bisher nur einige Vorschläge. Einige möchte am liebsten dieses Fest gerne in der Öffentlichkeit draußen feiern, andere haben da noch Bedenken. Mal schauen…

3 schätze: Wie lange praktizierst Du schon Zazen? Siehst Du Dich in einer bestimmten Tradition?

Barbelies Wiegmann: Ich praktiziere Zazen seit über 30 Jahren. Anfang der achtziger Jahre suchte und fand ich einen Yogalehrer, denn ich wollte wegen schlimmer Schlafprobleme etwas für meinen Körper tun. Der wiederum erzählte mit leuchtenden Augen von – damals noch unbekannten – Retreats im Zazen und empfahl zum Kennenlernen Rütte, ein kleines Dorf im Schwarzwald nahe Todtmoos. Dort hatte sich Karlfried Graf Dürckheim niedergelassen und eine Art Therapiedorf mit spiritueller Ausrichtung gegründet. Bei ihm lernte ich Sitzen im Zazen und den Umgang mit meinem Atem. Einige Zeit später erfuhr ich durch Freunde von Gundula Meyer in der Nähe von Braunschweig, ehemals evangelische Pastorin und – nach langem Lernen in Japan – Zen-Meisterin. Bei ihr war ich viele Jahre auf dem „Ohof“, in äußerst strengen Retreats (12 Sitzeinheiten pro Tag. Ich hatte viele Knieschmerzen und fragte mich insgeheim, ob das so richtig ist.

Auf einem Retreat im „Waldhaus“ in der Eifel, bei Fumon Nakagawa Roshi (Eisenbuch), – etwa 1994 – entdeckte ich die Bücher von Thich Nhat Hanh und wusste sehr bald, dass er mein Lehrer sein würde. So fuhr ich nach „Plum Village“ in Südfrankreich in sein dortiges Zentrum, insgesamt zweimal. Ein Zentrum voller Sonne und Heiterkeit. Dort gab es keine Knieschmerzen, denn man streckte sich oder hörte auf, wenn es weh tat.

Zu meiner persönlichen Freude kam Thich Nhat Hanh seit 2010 ein Mal im Jahr zum Sommerretreat in das von ihm gegründete Zentrum in Waldbröl EIAB (Europäisches Institut für angewandten Buddhismus), beendet durch seine Krankheit 2015. Im Mittelpunkt seiner Lehre steht nicht nur Liebe und Mitgefühl, sondern vor allem auch Freude und Glück. Besonders erinnere ich: „Eltern müssen ihren Kindern ein Vorbild sein. Ein Vorbild im Glücklichsein.“ Dies versuche ich.

3 schätze: Übst Du auch gemeinsam mit anderen in einer Gruppe?

Barbelies Wiegmann: Ja, alle zwei Wochen kommen wir in unserer Sangha zusammen, die mein Mann, Werner Wiegmann, gegründet hat und leitet. Wir üben Zazen (2 Runden à 30 Minuten mit Kinhin), rezitieren das Herz-Sutra, hören einen guten Text und sprechen über diesen Text nach der Tee-Zeremonie. Zum Schluss stehen wir im Kreis Hand in Hand, und ich verabschiede die Sangha mit dem Tibetischen Segensspruch: „Mögen alle Wesen Glück erfahren und die Ursachen von Glück…“

3 schätze: Fällt Dir spontan eine Anekdote aus alten Zen Tagen ein?

Barbelies Wiegmann: Auf Anhieb fällt mir keine eigene Anekdote ein. Eine bekannte Anekdote, die ich besonders schätze, lautet: „Ein Schüler fragt seinen Meister, „Was kommt nach dem Tod?“ Der Meister antwortet: „Das weiß ich nicht“. Darauf der Schüler, etwas irritiert: „ Wieso weißt du das nicht, Du bist doch ein Meister!“ Darauf der Meister: „Aber kein toter“.

3 schätze: Für mich persönlich ist es sehr schön Dich und Werner als Paar zu sehen, welches sich auch im fortgeschrittenen Alter seine Offenheit dem Leben gegenüber bewahrt hat. Als Rechtsanwältin für Familienrecht hast Du schon 1980 das Buch „Ende der Hausfrauenehe“ (Rowohlt, vergriffen) geschrieben. Würdest Du sagen, dass sich Eure Haltung aus der gemeinsamen Zen Praxis speist und/oder auch aus Deinen Erfahrungen aus Deiner Zeit als Rechtsanwältin? Gibt es „Rezepte“, die sich daraus ergeben haben, Dinge, die Ihr einfach anders angegangen seid?

Barbelies Wiegmann: Wir haben ganz schön gegeneinander gekämpft, besonders in den siebziger und achtziger Jahren, wo Monogamie out war. Aber wir blieben im Gespräch, zuweilen in Selbsterfahrungsgruppen, jede-r für sich oder in gemeinsamen Gruppen oder mit Freundinnen und Freunden. Ich glaube, das Schwerste in einer Partnerschaft ist, das Anderssein des Gegenübers immer mehr wahrzunehmen, zu akzeptieren, gut damit zu leben und sich an den Gemeinsamkeiten zu freuen.

Sicher hat uns der gemeinsame Buddhaweg der Liebe und des Mitgefühls dabei geholfen; aber auch meine Erfahrung als Familienanwältin, durch Berufstätigkeit von Beiden keine zu großen Abhängigkeiten entstehen zu lassen. Ich war auch sehr aktiv in der Neuen Frauenbewegung, die das Patriarchat beenden wollte und will.

3 schätze: In Deinem Leben hat heute ja nicht nur die Meditation ihren Platz, sondern auch die Mediation. Kannst Du zu Deinem Beruf oder Deiner Berufung noch in paar Worte erzählen?

Barbelies Wiegmann: Als Rechtsanwältin im Familienrecht war ich mittendrin in grauenhaften Ehe- und Scheidungskriegen, in denen das letzte heile Porzellan zerschlagen wurde. In der Regel zahlen dann die Kinder die Zeche. Deshalb war ich glücklich, als Anfang der neunziger Jahre ein neuer Weg der Konfliktlösung aus USA ins Land kam, nämlich die Mediation, in der eine neutrale dritte Person den Konfliktparteien hilft, eine für alle faire und befriedigende Lösung des Konflikts zu erreichen. Ich habe sofort eine Ausbildung gemacht – damals noch bei tollen amerikanischen Lehrern – und seitdem bin ich ausschließlich als Mediatorin tätig. Ich betrachte meine Arbeit als ein Stück Friedensarbeit, für die Gesellschaft, aber vor allem für die Kinder.

3 schätze: Herzlichen Dank für dieses Gespräch…

Infos: www.barbelies-wiegmann.de

Achtsamkeit – Ein paar Gedanken…

Vor einigen Tagen kam während eines Mittagessens in der Monk´s Kitchen die Frage auf „Was ist Achtsamkeit und welche Werkzeuge gibt es, um die Achtsamkeit zu vertiefen?“.

Der Begriff „Achtsamkeit“ bedeutet für mich eine „Achtung“ vor dem grossen Leben und dem gegenwärtigen Augenblick im Besonderen. Wenn man die Nicht-Getrenntheit zugrunde legt, bedeutet dies eine Verbundenheit, ein „In Kontakt sein“ mit allem und jedem. Warum also Wert legen, auf die bewußte Achtsamkeit in unseren Handlungen, unserem Denken und der Sprache?

Achtsamkeit ist kein Selbstzweck, um mich zu optimieren oder das Leben besser im Griff zu haben. Achtsamkeit ist keine Leistung und ich kann Achtsamkeit nicht konservieren. Letzlich geht es doch um eine Befreiung vom Ego, den Konzepten, Vorstellungen und Ideen einer Person, die wir jeden Morgen erneut wahr werden lassen wollen. Achtsamkeit von Moment zu Moment erlaubt es uns zu sehen, dass sich alles ständig wandelt, das nichts bleibt wie es ist. Mit der Achtsamkeit kehren wir also immer wieder zurück zum Nicht-Ich, der Unbeständigkeit und der Wahrnehmung des Leidens in Trennung oder der Umkehr in die Erfahrung der Verbundenheit.

Welche Werkzeuge gibt es? Den Atem, diesen Körper-Geist und jede einzelne Handlung/Begegnung im Jetzt und Hier.